Wenn Schuld lauter ist als Vernunft

Manchmal frage ich mich, wann es endlich genug ist

Es gibt Tage, da frage ich mich, ob ich als Mama alles falsch gemacht habe. Einige von euch wissen es ja – mein Kind hat Zwänge. Und obwohl wir heute gut informiert sind und viel über die Hintergründe wissen, kommt dieser Gedanke immer wieder: Hätte ich etwas anders machen können?

Im Rückblick sehe ich so vieles klarer. Diese unzähligen Rückversicherungsfragen, das Festhalten an Dingen, die längst keine Bedeutung mehr hatten, das plötzliche „Einfrieren“, wenn etwas nicht so lief wie erwartet – all das haben wir damals einfach nicht verstanden. Wir hielten es für Eigenheiten, für Phasen, die schon vorbeigehen würden. Niemand hatte uns gesagt, dass all das Anzeichen waren.

Erst später wurde uns bewusst, wie früh die Zwänge begonnen hatten – leise, schleichend, fast unsichtbar. Und noch heute frage ich mich manchmal: Warum habe ich es nicht früher erkannt? Warum gerade mein Kind? Warum wir?

Es gibt Tage, da fühlt es sich an, als würde das Leben mich prüfen. Wie viel kann eine Mama aushalten, bevor sie zerbricht? Und ehrlich – manchmal frage ich mich, wann es endlich genug ist.

Frau sitzt erschöpft am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt – Symbol für Überforderung, Schuld und stille Stärke im Mama-Alltag.

Wenn Liebe an die Grenzen stößt

Ich tue mir oft schwer, Grenzen zu setzen. Vielleicht, weil ich in mir spüre, wie sehr mein Kind ohnehin kämpft. Vielleicht, weil ich Angst habe, zusätzlichen Schmerz zuzufügen. Also lasse ich los, lasse zu, bis ich selbst am Limit bin – und irgendwann explodiere.

Dann werde ich laut, ungerecht, sage Dinge, die ich sofort bereue. Und kaum ist es passiert, ist sie wieder da – diese Stimme in meinem Kopf, die flüstert: „Du hättest ruhig bleiben müssen.“ Was bleibt, ist das schlechte Gewissen. Und der Kreislauf beginnt von vorn.

Es ist, als würde ich in einer Endlosschleife aus Liebe, Überforderung und Schuld stecken. Ich will es richtig machen, aber was ist überhaupt richtig, wenn es um etwas geht, das so viel größer ist als man selbst?

Die leisen Wurzeln

Oft frage ich mich, ob das etwas mit meiner eigenen Kindheit zu tun hat. Ob ich nie wirklich gelernt habe, meine Grenzen zu schützen. Ob ich immer geglaubt habe, dass Liebe bedeutet, alles zu geben – auch das, was eigentlich nicht mehr da ist.

Vielleicht habe ich meinem Kind genau das unbewusst vorgelebt: dass man sich selbst zurücknimmt, um Frieden zu bewahren. Und jetzt stehe ich da und sehe, wie dieses Muster weiterlebt – auf eine Weise, die weh tut.

Ich weiß, dass Schuld niemandem hilft. Ich weiß, dass ich mein Bestes tue. Und trotzdem ist diese Schuld manchmal lauter als jede Vernunft.

Zwischen Stärke und Erschöpfung

Es gibt diesen schmalen Grat zwischen Verständnis und Erschöpfung. Zwischen Mitgefühl und Selbstaufgabe. Zwischen „Ich halte das aus“ und „Ich kann nicht mehr“.

Ich weiß, dass ich mein Kind bedingungslos liebe – und gleichzeitig fühle ich mich manchmal, als würde ich jeden Tag ein Stück versagen. Ich schwanke zwischen Stärke und Hilflosigkeit, zwischen Nähe und Rückzug, zwischen dem Wunsch, alles richtig zu machen, und der Sehnsucht, einfach mal die Stopp-Taste zu drücken.

Es gibt Momente, da wünsche ich mir, jemand würde sagen: „Es ist okay, wenn du müde bist. Es ist okay, wenn du nicht mehr kannst.“ Denn genau das ist die Wahrheit: Ich liebe mein Kind – aber manchmal bin ich einfach müde.

Frau sitzt auf der Couch, hält eine Tasse Kaffee in den Händen – Symbol für Erschöpfung, Liebe und stille Stärke im Mama-Alltag.

Ehrlichkeit statt Perfektion

Ich schreibe das nicht, weil ich Mitleid will. Ich schreibe es, weil ich glaube, dass viele von euch ähnliche Gedanken kennen, aber selten aussprechen. Weil es weh tut, sie zuzulassen. Weil wir Angst haben, als schlechte Mütter dazustehen.

Aber wenn ich eines gelernt habe, dann das: Ehrlichkeit heilt mehr als Perfektion. Perfektion trennt uns, Ehrlichkeit verbindet uns.

Ich habe aufgehört, nach der „richtigen“ Mutter zu suchen. Stattdessen versuche ich, eine echte zu sein – mit Ecken, Zweifeln und dieser unerschütterlichen Liebe, die bleibt, egal, wie chaotisch es wird.

Denn das Gefühl, nicht allein zu sein, ist manchmal das Einzige, was uns wieder aufstehen lässt.

Wie geht ihr mit solchen Gedanken um? Vielleicht können wir hier einen Raum schaffen, in dem es erlaubt ist, müde zu sein. Ehrlich. Menschlich. Und trotzdem stark. 💛

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